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Reisebericht von Island

22.Juli – 13. August 2000

1140 km per Fahrrad

2. WOCHE


Samstag 29. Juli 2000
Skaftafell National Park – Hnappavellir, ca 25 km

Gegen acht stehe ich auf. Es ist kühl geworden. Heute möchte ich eine kleine Wanderung im Nationalpark machen. Dieser beginnt auf der Höhe der Sandur und zieht sich einen breiten Bergrücken zwischen zwei Gletschern hoch: dem Skaftafellsjökull und dem Morsarjökull. Leider bin ich nicht gerade der Einzige, der hoch steigen möchte… Noch eine halbe Stunde lang bin ich in einer riesigen Carreisegruppe "gefangen".

Mit der Höhe zeigt sich langsam der atemberaubender Ausblick auf die Skeidararsandur mit den mächtig mäanderden Schmelzflüssen und das benachbarte Vatnajökull. Die Vegetation ist sehr vielfältig, verschiedenste Arten auf kleinstem Raum. Der Nationalpark ist eine Oase inmitten einer unwirtlichen Landschaft. Nach einer Woche blühende Alpwiesen zu sehen in Island ist schon fantastisch.

Das grosse Aushängeschild des Parkes ist der Svartifoss, ein kleiner Wasserfall, der über regelmässig geformte Basaltsäulen abfällt. Ich habe das Glück vor den ersten Gruppen oben zu sein und kann so in Ruhe fotografieren und mich umsehen. Ich möchte aber noch weiter hoch. Der höchste Punkt ist 1174 müM, die tiefhängende Nebelschicht verdeckt aber die Sicht. Nur etwa bis 600 müM lohnt es sich hochzusteigen, dort oben wird die Sicht dann auf den riesigen Skeidararjökull frei (was übrigens soviel heisst wie "der wandernde Fluss-Gletscher"). Nach einem Abstecher auf die östliche Seite des Bergrückens steige ich wieder herunter.

Ich möchte heute unbedingt noch weiterfahren in Richtung Höfn, irgendwie packt mich schon nach einem Tag ohne Fahrradfahren die Ungeduld. Letzte Nacht habe ich mir im Zelt die künftige Route etwas zurecht gelegt und festgestellt, dass die Rundfahrt durch Island nicht ohne Bus zu schaffen ist für mich. Es wäre einfach schade, jeden Tag auf dem Fahrrad sich abzustrampeln und schöne Abstecher fallenlassen zu müssen.

Ich möchte also nach Höfn, um dort den Bus zuerst nach Egilstadir zu nehmen und dann gleich weiterzufahren nach Myvatn. Die Busfahrt spart mir 400 km (4-6 Tage Fahrradfahrt). So schnell zieht es mich aber doch nicht aus dem gemütlichen Campingplatz, bei einem Café schreibe ich noch ein paar Karten in die Schweiz, mal sehen wann diese ankommen von hier aus.

Es ist schon später Nachmittag, als ich aufbreche. Die Landschaft auf der Weiterfahrt ähnelt hier wieder sehr dieser vor der Sandur. Grüne Wiesen, Schafe und eine Steilklippe ein paar hundert Meter weiter Inland. Die Felsen werden immer wieder von Gletschern zerschnitten, die sich steil abfallend aus dem Vatnajökull ergiessen. Ich fühle mich sehr wohl und habe zum ersten Mal den Eindruck mich so richtig eingelebt zu haben hier in Island. Die Landschaft erscheint vertraut. Nach eineinhalb Stunden Fahrt richte ich mich im Schutz eines kleinen Dammes ein. Die Landschaft an der Küste ist sehr eben, sein Zelt irgendwo aufzustellen, ohne dass jeder Vorbeifahrende es sieht, ist nicht einfach. Schliesslich möchte man abends doch noch etwas Privatsphäre um sich in Ruhe etwas kochen zu können.

Zuerst fallen mir die beiden grossen Raubmöwen gar nicht auf. Erst als ich das Zischen in der Luft vernehme und die beiden bräunlich gefiederten Vögel erblicke jagt es mir einen kleinen Schrecken ein. Das Pärchen liess in unmittelbarer Nähe Kot ab. Was soll das? Ich nehme dies nicht weiter Ernst und baue mein Zelt auf und beginne zu kochen.

Heute ist Kartoffelsuppe angesagt, eine recht gute Instantsuppe. Meist bin ich abends gar nicht so hungrig, aber einen Liter Flüssiges in Form von Suppe zu sich zu nehmen ist schon sinnvoll.

Abends als ich noch etwas Herumlaufen wollte fallen mir die beiden Vögel wieder auf, und wie! Einen Meter über dem Boden und pfeilschnell fliegen die beiden auf mich zu. Reflexartig springe ich auf die Seite, bei knapp eineinhalb Metern Flügelspannweite vergeht wohl den meisten das Angeben. Kurz vor mir drehen die Vögel hoch lassen wieder ihren Kot ab. Jetzt dämmert mir einiges. Die beiden verteidigen wohl ein gemeinsames Nest oder zumindest ihr Territorium. Die Angriffsflüge sollten mich einschüchtern, sowie auch das Abwerfen von Kot. Die Vögel hier an der Küste Islands sind nie merklich durch Menschen gejagt oder eingeschüchtert worden. Menschen sind für sie Eindringlinge wie andere auch. Am Besten man verjagt sie...

Ich behalte also künftig die Vögel im Auge und versuche mich nicht ihrem Standplatz zu nähern. Solange ich bei meinem Zelt bleibe, lassen sie mich in Ruhe: Dies ist mein Territorium.


Sonntag, 30 Juli 2000
Hnappavellir – Kalfafellsstadur, ca. 65 km

Bevor ich nicht auf dem Sattel sitze, muss ich noch auf die Raubmöwen acht geben. Sie täuschen noch zwei, drei Mal einen Angriff vor, geben dann aber Ruhe. Mein Zeltplatz für diese Nacht ist eigentlich wunderschön: An einem Bächlein gelegen, Richtung Inland taucht ein Gletscher aus dem Nebel hinab und in der Ferne ist sogar das Meer sichtbar.

Die weiteren Kilometer Fahrt führen über eine steinige Ebene. Nach etwa 30 km wird dann der Blick frei auf die Gletscherlagune Jökulsarlon, ein eisiger Windhauch streift mich. Eisberge! Das erste Mal sehe ich Eisberge. Ein grosser Gletscher hat beim Rückzug eine Lagune zurückgelassen, in der nun blauschimmernde Eisberge schwimmen. Ein fantastischer Anblick.

Jökulsarlon ist ein Zwischenstop auf der Touristenroute. Alle Welt steigt aus, durchstöbert den Souvenirladen, trinkt Kaffee und wirft nebenbei auch noch einen Blick auf die eigentliche Attraktion: die Eisberge. Es gibt sogar ein Amphibienfahrzeug, das Gutbetuchte (oder all jene die dies wenigstens während des Urlaubs vorgeben wollen) für eine kurze Kreuzfahrt zwischen die Eismassen aufnimmt.

Ich treffe zwei Fahrradfahrergrüppchen. Mit einem Franzosen unterhalte ich mich dann noch ausführlicher. Seltsames Gefühl nach einer Woche Englisch wieder Französisch zu sprechen. Tja es klappt und er erzählte mir von seinen Beschwerden: „je roule, je bouffe, je dors, je roule, …" Er mache nichts anderes mehr. Schade eigentlich, ich versuche ihm zu erklären, dass die Landschaft und die Leute doch dies alles entschädige, aber für ihn ist das Ganze ein Masotrip, der durchgestanden sein muss.

Er hat sich übrigens für eine Anhängerlösung entschieden. Anstelle der Packtaschen am Fahrrad hat er alles auf einem leichten, schlanken Anhänger. Er schwört darauf. Immer wieder staune ich über die Vielfalt an Leuten, die per Fahrrad unterwegs sind. Keep on riding!

Als ich schon wieder aufgestiegen bin auf den Sattel, sehe ich eine Gruppe von Menschen, die aufgeregt Richtung Lagune blickt. Ich steige ab, reisse meinen Fotoapparat und Feldstecher hervor und renne zu ihnen hin. Es ist eine Robbe, die die Aufregung verursacht hat. Ich habe das Glück noch kurz durch den Feldstecher ihren Kopf mit den grossen Kulleraugen zu erhaschen. Ganz in der Nähe ist ein kleiner Schwarm von Krias beschäftigt mit dem Tauchen nach Fischen. Pfeilschnell tauchen die Vögel unter Wasser, um sich gleich danach mit einem kräftigen Flügelschlag wieder in die Lüfte zu reissen.

Fasziniert von den Beobachtungen mache ich noch einen kleinen Spaziergang am nahen Meeresstrand. Zu gerne möchte ich noch einmal die Robbe auftauchen sehen. Stattdessen liegen zuhauf Vogelgerippe auf dem sandigen Boden. Raubmöwen, die im Fluge kleinere Vögel erlegen können, haben diesen Friedhof angelegt. Die Robbe taucht leider nicht mehr auf.

Nach weiteren 30 km Fahrt suche ich mir ein gemütliches Plätzchen. Auf einem Seitenweg, nach etwa 500 m, komme ich zu einem geeigneten Platz. Ich bin zwar noch in Sichtweite der Strasse, hinsehen wird man aber kaum: grünes Zelt auf grüner Wiese. Die perfekte Tarnung.

Es gibt Orte, an denen ich mich nicht immer so wohl fühle. Ist es die E. A. Poe Lektüre von gestern Nacht, die mir noch etwas den Realitätssinn trübt, ist es die Ungewissheit des Fremden oder sind es nur die seltsamen Geräusche verursacht durch den auffrischenden Wind und die Schafe, die weitverstreut über die Wiesen ziehen? Das Alleinreisen, alleine zu zelten in einer Wildnis, wie hier in Island fordert schon etwas meine Nerven von Zeit zu Teit. Man muss sich aber diesem Unbehagen stellen. Auch die ödeste Wildnis erscheint vertraut, wenn man am nächsten Morgen aus dem Zelt kriecht und die schon gesehene Landschaft betrachtet. Und dann schmunzelt man nur noch über die Sorgenfalten, die man sich abends zuvor gemacht hat.

Heute abend gibts Mehlsuppe (eins der Päckchen, die mir meine Schwester aufgeschwatzt hat). Die Suppe schmeckt gar nicht so übel, getunktes Knäckebrot dazu ist auch nicht schlecht…


Montag 31. Juli 2000
Kalfafellsstadur – Höfn, ca. 60 km

Nach dem Aufstehen gehe ich kurz zum Flüsschen, dass ganz in der Nähe durchfliesst. Fürs Zähneputzen und Abwaschen ist mir das mitgebrachte Wasser meist zu schade. Aufmerksam wie in den letzten Tagen beobachte ich die Vögel, besonders solche die keine Scheu zeigen sich nahe ran zu wagen. Beim Zurücklaufen zum Zelt sticht mir ein beissender Geruch in die Nase, an der Uferböschung liegt ein abgenagtes Schafkadaver, die Rippen stechen hervor der Kopf ist bis auf die Schädelknochen entblösst. Die freilaufenden Schafe sterben, ohne dass jemand dies bemerken würde. Tja so habe ich eine Nacht in der Nähe eines Schafskadavers verbracht. Gut, dass ich nicht nachts drübergestolpert bin...

Als die Strasse wieder einmal am Strand vorbei führt, zeigt sich ein Schauspiel der Nebelschwaden über dem Meer. Der Strand liegt in weisse Nebeltücher gewandt und die gleissende Sonne erleuchtet das Spiel: märchenhaft.

Um Höfn zu erreichen muss man ein grosses Delta durchqueren, dass früher wohl ein Gletscher ausgehölt hat und heute durch das Schmelzwasser zu einem Feuchtgebiet wurde. Kilometerlang zieht sich die Strasse schnurgerade hin. Plötzlich, ich habe wohl schon fast vergessen, dass ich mich in Island befinde, kommt mir ein Haus entgegen… Keine Fata Morgana, nein. Es ist ein Haus. Erst eine Weile später ist das Objekt genügend nahe um erkannt zu werden. Ein übergrosser Sattelschlepper hat ein Fertighaus aufgeladen. Nein, nicht ein kleines Gartenhäuschen, ein richtiges Einfamilienhaus aus Holz. Mit etwas weichen Knien schaue ich dem mittlerweile nun an mir vorbeibrausenden Gefährt zu. Der Wind lässt das Haus bedrohlich wackeln…

Vorbei an grüner Landschaft erreiche ich am späten Nachmittag Höfn. Der Zeltplatz liegt gleich am Dorfeingang, praktisch gelegen auch deshalb weil die Bushaltestelle sich gleich auf dessen Parkplatz befindet. Als ich ankomme, steht schon ein Motorradfahrer beim Eingang. Es ist ein Deutscher. Er meint, er habe mich heute schon mal gesehen (beim Überholen auf der Landstrasse). Leider dreht sich das Gespräch für ihn nur um die Tatsache, dass Fahrradfahren doch mühsam, und dass sein Gefährt doch viel schneller und gemütlicher sei. Tja, er ist nicht der erste der sich nicht mit dem Fahrradfahren anfreunden will. Ich kenne niemanden, der schon auf einer Fahrradtour gewesen ist und dies nicht mehr machen würde. Ok, Island hat schon schlechtes Wetter, dafür aber gleich mit 100 PS durch die Landschaft knattern zu müssen, nur um schneller an einem Ort zu sein, als man eigentlich möchte? Aber, alles ist eine Frage der Gewöhnung, natürlich gibt es auch ungemütliche Momente zum Fahrradfahren: 8 h im eisigen Regen, ausgewaschene Strassen, … Dies alles gehört für mich aber zum Erlebnis ein Land kennenzulernen dazu.

Nach einem gemütlichen Einkauf und ein bisschen Duschen, mache noch eine kleine Rundfahrt durch Höfn. Unglaublich, ohne Gepäck verhält sich mein Fahrrad wie ein klappriger Esel, ich bin einfach nicht mehr gewohnt, kein Gewicht mehr ausbalaniceren zu müssen.

Höfn ist nicht gerade Reykjavik. Ein kleiner Hafen, zwei, drei Imbissbuden, eine Schule und ein Schwimmbad machen das Städtchen mit 4000 Einwohnern aus. Alles in allem ganz niedlich.

Gegen Abend füllt sich der Zeltplatz allmählich mit Leuten. Es stossen noch vier Fahrradfahrer dazu, drei Franzosen rücken in Expeditionsausrüstung an (Sturmzelt, Kletterseil, …) und zu guter letzt eine Carladung „Natur-Reisen" Touristen: Etwa 30 Personen werden per Bus angekarrt, laden zackig ihr ganzes Campingmaterial aus und beginnen emsig wie ein Ameisenhaufen den Aufbau. Irgendwie erinnert mich die ganze stark an Pfadfinderlager, nur eben gehts bei weitem nicht so lustig zu und die Küche schaffts gerade noch um 21:30 das Abendessen aufzutischen. Gekocht wird übrigens in einem abgeschlossenen (!) Grossraumzelt, Kohlenmonoxid ahoi.


Dienstag 1. August 2000
Höfn – Myvatn, ca 400 km per Bus

Ich stehe viel zu früh auf. Irgendwie bin ich aufgeregt. Im Gegensatz zu all den anderen Reisenden (die ja fast alle per Bus unterwegs sind) habe ich nicht den blassesten Schimmer, wie das Ganze abläuft hier in Island.

Kaum habe ich mein Fahrrad neben den Bus gestellt, schnauzt mich ein Buschauffeur an, ich solle mein Fahrrad ihm bringen. Gesagt getan und ich finde mein Fahrrad aufgehängt an zwei Eisenstangen hinten am Bus wieder. Leider ist mein Lenker nicht gerade der handlichste, so muss mein Fahrrad die äusserste Position einnehmen von den dreien, die mitkommen müssen.

Die Fahrt kann losgehen. Die Fahrkarten werden übrigens anfangs Fahrt von einer jungen Angestellten (Schülerin mit Ferienjob) ausgestellt, meist steigt diese dann Ende Dorf aus, so dass sie nicht 200 km Fahrt machen muss. Unsere Fahrt nimmt aber schon nach 10 min ein erstes Ende. Ich sitze fast ganz vorne und bekomme mit, wie der Chauffeur per Bordtelefon längere Zeit mit einem Kollegen telefoniert. Später steigt der etwas bärbeissige Chauffeur (siehe Fahrradverladen) sogar aus, wohlgemerkt, wir befinden uns mitten auf der Strasse irgendwo nach Höfn. Nach einer Viertelstunde läutet das Telefon, einer der Passagiere steigt aus um den Chauffeur zu verständigen: Wieder isländische Konversation. Was ist los? Eine Panne, keinen Sprit, Strasse wegspült? Dies alles scheint mir sehr merkwürdig, wäre doch all dies schon vor der Abfahrt klar gewesen. Nun macht der Chauffeur sogar noch ein Nickerchen auf dem Lenkrad. Wenn das nur gut geht!

Endlich, es nähert sich ein Landrover, mit einem flotten Manöver wird der Wagen auf der einspurigen Strasse gewendet und ein Angesteller der Busgesellschaft steigt aus und tauscht den Platz mit dem müden Chauffeur, welcher sodann den Landrover nimmt und davonbraust. Die Fahrt geht endlich weiter, nun mit einem hoffentlich ausgeschlafenen (oder zumindest gesunden) Chauffeur.

Die Strasse führt geradewegs den nächsten Berg hoch. Was ich aus Distanz als Schuttrinne identifiziert habe, entpuppt sich als wagemutig angelegte Strasse. Knapp am Abgrund vorbei steuert der Chauffeur unseren Bus. Der Neue hat übrigens den Tick während den 5 h Fahrt sicher 4 h telefoniert zu haben. Während einem solchen Telefonat, lässt sich ein Bus natürlich nur einhändig steuern, versteht sich. Bei Passwindungen musste so schon mal ein Telefonat kurz unterbrochen werden… Nur um den Gang zu wechseln versteht sich.

Die Strecke ist übrigens sehr schön. Zuerst schlängelt sie sich den Fjorden entlang, bis sie Richtung Inland abbiegt und ein breites Tal hochführt bis über einen Pass. Erstes Ziel ist Egilstadir.

In Egilstadir ist schönes Wetter, richtiges Sommerwetter: Blauer Himmel und warm. Nach einer Stunde Wartezeit geht die Fahrt weiter. Vielleicht noch ein Wort zu meinem Fahrrad: Ich habe geschrieben, dass es an äusserster Stelle befestigt gewesen ist am Bus nach Egilstadir. Die unbefestigte, staubige Strasse hat ihren Tribut gefordert: Noch nie habe ich ein so schmutziges Fahrrad gesehen. Teils fast 1 cm dicke Staubschichten klebten am Rahmen, das Kettenöl ist trocken gelegt, der Dreck drang in jede Ritze ein… Es hat keinen Sinn etwas gegen den Schmutz zu tun, da die Fahrt ja noch weitergeht.

Durch karges Land führt die Ringstrasse an den Myvatn. Auch diese Fahrt ist spannend. Die Strasse ist so holprig, dass der Bus fast auseinanderzufallen droht. Die Devise ist aber trotzdem nicht unter 80 km/h zu fahren (auf Wüstenstrassen gilt dasselbe): Die Unebenheiten (Wellblech) lassen sich nur mit weniger als 5 km/h (was für mich gilt) oder mit mehr als 80 befahren. Alles was dazwischen liegt, verursacht an dem Fahrzeug solch starke Vibrationen, dass alles auseinanderfallen würde. Lustig ist der Tachometer der Busses anzusehen, dieser nimmt bei grösseren Unebenheiten ware Luftsprünge. Bei zu starken Dellen ist dem Chauffeur ein stummes Fluchen anzumerken. Eine gewisse Sensibilität im Umgang mit dem Fahrzeug ist also zu erkennen.

Zwischenstop gibts bei einer einsamen Gastwirtschaft auf offener Strecke. Das besondere ist der Herdubreid, 1682 m hoch und laut den Saga der Sitz der Götter (die Asgard = „die Burg der Asen", die Asen sind das Göttergeschlecht). Von hier aus dürfte er etwa 40 km entfernt sein. Der Berg steht einsam in der öden Landschaft des Inneren Islands. Hinter Herdubreid befindet sich übrigens Askja, ein grosser durch einen See gefüllten Krater. In der Gegend haben übrigens die Astronauten vom Apollo Mondlandeprogramm ein paar Übungen gemacht.

Kurz vor Myvatn beginnt die Landschaft wortwörtlich zu brodeln. Dampf steigt auf. In der ferne ist Krafla zu sehen: eine aktive Vulkanregion mit einem geothermischen Kraftwerk. Links neben der Strasse sehen wir ein brodelndes Feld von Schlammlöchern und hoch an einem Berghang dringt gelber Schwefel durch das Gestein. Später durchfahren wir noch das Bohrfeld eines geothermischen Kraftwerkes gleich vor dem See. Die Bohrlöcher haben Überdruckventile, welche ständig grosse Dampfwolken ausstossen, der Dampf aus den Löchern wird durch Röhren zum Kraftwerk geleitet und treibt dort die Turbinen zur Stromgewinnung an.

Wir erreichen das hübsche Städtchen Reykjahlid am Ufer des Myvatn. Der Bus lässt uns bei einem Hotel aussteigen. Mein Fahrrad nehme ich selbst vom Gestänge ab. Ich will dem Chauffeur diesen Dreckhaufen nicht zumuten. Wenigstens hat sich der Zustand nicht verschlimmert in den letzten Stunden, mehr Dreck hätte einfach nicht gehaftet auf dem Fahrrad. Auf dem Weg zum Campingplatz frage ich bei einer Tankstelle noch nach Wasser zu, Fahrradwaschen, mit dem Autoputzaufsatz für den Schlauch (mit Bürste) geht die Aktion dann auch ganz fix.

Der Campingplatz liegt gleich am See. Die Sonne scheint und es ist einfach herrlich die Abendstimmung zu geniessen. Ich schlage mein Zelt auf, gehe mich duschen (kostet nichts, schmeckt aber stark nach Schwefel, was solls, dann halt ein bisschen Eierkochen-Romantik während der Dusche) und wasche ein paar Kleidungsstücke. Rechtzeitig zum Sonnenuntergang habe ich meinen Reis fertiggeköchelt. Die untergehende Sonne taucht den See in tiefes orange, rot und schliesslich blau und violett. Einfach herrlich.

Hoffentlich werden die Photos etwas, die Wasservögel im Gegenlicht des Sonnenuntergangs sind ein lohnendes Sujet.

Das My von Myvatn bedeutet übrigens „Mücken", also Mückensee. In der Abendsonne sind diese zwar zu Millionen zu sehen, haben aber nicht die Absicht durch Stechen negativ aufzufallen. Glück gehabt.


Mittwoch 2. August 2000
Reykjahlid – Reykjahlid, 40 km

Eine frische Brise weht um die Zelte und lässt den Zeltstoff flattern. Vorbei die strahlende Sonne von gestern. Es ist kühler geworden. Ich weiss eigentlich immer noch nicht so recht, was ich genau machen möchte in den nächsten Tagen. Gestern abend war ich noch bei der Campingplatz Betreuerin, eine sehr nette Frau. Sie meinte, dass der kürzeste Weg nach Dettifoss, dem grössten Wasserfall Europas, kaum zu befahren sei (mit dem Auto). Als ich ihr sage, dass ich mit Fahrrad unterwegs bin, meinte sie abschliessend, wenn man’s gewohnt sei auf ruppigen Schotterpisten zu fahren sollte es eigentlich schon gehen. Viel schlauer als zuvor war ich nach dieser Information selbstverständlich nicht.

Ich entscheide heute mal eine Runde um den See zu fahren (40 km), irgendwo zu campieren und dann Morgen über Krafla (dem Vulkanfeld) nach Dettifoss zu fahren, schlechte Strasse hin oder her. Ich packe meine Sachen zusammen, die Wäsche von gestern ist Dank dem Wind trocken.

Schon nach den ersten Metern auf der Teerstrasse, die um den See führt, fällt mir der starke Wind auf. Richtung? Gegenwind, wie fast immer! Das Treten ist natürlich mühsam bei starkem Wind, welcher ständig an einem zerrt und versucht einem aus dem Gleichgewicht zu kippen. Ich komme aber trotzdem vorwärts.

Mein erstes Ziel ist der Vulkankrater Hverfell, der markant den See überragt. Dieser ist ein überdimensionierter Schutthaufen, etwa 200m hoch und vor 2700 Jahren durch eine einzige gewaltige Explosion entstanden. Sein Kraterdurchmesser dürfte etwa 400m betragen und die Basis über einen Kilometer. Der Weg zum Hverfell stellt sich als üble Sandpiste heraus. Durch das schwere Gepäck schlitterte mein Fahrrad mehr als dass es vorwärts kommt.

Der Kegel darf nur über einen einzigen Weg bestiegen werden, da die menschliche Erosion grossen Schaden anrichtet. Wir Touris sollen ja schliesslich nicht in fünf Jahren niedertrampeln, was tausende Jahre der Witterung getrotzt hat.

Als ich mich gerade bereit machen will für den kurzen Aufstieg, fährt ein anderer Fahrradfahrer ein. Ein Kanadier, aus Quebec, der sein Gepäck beim Campingplatz gelassen hat: schlaue Entscheidung. Wir beschliessen kurzerhand gemeinsam den Ausflug auf den Vulkan zu machen.

Einmal oben, ist man überwältigt von der Aussicht. Myvatn liegt inmitten einer endlosen Einöde. Im Norden raucht der Krafla (am anderen Tag erfahre ich, dass es sich um ein geothermisches Kraftwerk handelt). Gegen Osten sind riesige versteinerte Lavaströme zu sehen, die von einer bewegten Vergangenheit zeugen. Der See selbst ist tatsächlich übersät von kleinen Inseln, kleinen Pseudokratern, die durch Wasserdampfexplosionen entstanden sind.

Der Krater des Vulkans zeigt keine vulkanische Aktivität, eher menschliche da auf dem Kratergrund allerhand mondäne Naczafiguren eingearbeitet sind (im Stile von „I was here, Nick" oder „I love you"). Die Zeichnung dürften wohl definitiv nicht von Ausserirdischen stammen. Erich von Däniken würde mir zwar widersprechen, aber was solls...

Am Kraterrand weht ein kräftiger Wind, man kann sich richtiggehend „gegen den Wind abstützen". Das Photographieren wird zur Herausforderung, man muss die kurze Ruhe zwischen zwei Böen abwarten um mit ruhiger Hand fotografieren zu können. Nach einer Umrundung des Kraterrandes, stehen wir schon wieder am Ausstieg. Gerade als wir runtergehen wollen, kommen drei keuchende Touristen entgegen, die uns kurzatmig begrüssen. Das Kreuzen auf diesem schmalen Pfad ist schon etwas schwierig, da immer alles ins Rutschen zu kommen droht.

Ich mache mich wieder auf den Weg zur Hauptstrasse. Die Strasse am See entlang ist schon beeindruckend, immer wieder vulkanische Gesteinsformation, dichte Vegetation (sehr selten in Island) und natürlich der See. Nach einer Stunde Fahrt gelange ich nach Skutustadir, das Gegenstück zu Reykjahlid. Das Wetter verschlechtert sich und ich mache Halt in einem Restaurant. Ein paar Karten schreiben, etwas im Reiseführer lesen und Kaffeetrinken...

Als das Wetter sich wieder bessert, schaue ich mir noch die eindrücklichen Pseudokrater an, die gleich vor dem Dorfeingang liegen. Das vulkanische Material, aus dem sich diese Hügel zusammensetzen ist wie überall stark erosionsanfällig und somit sind Stege gebaut worden, dort wo sich heikle Stellen befinden.

Bei strahlendem Wetter und nur noch einer leichten Brise mache ich mich auf die Weiterfahrt. Schon bald überquert die Strasse die Laxa (Lachsfluss), der einzige Abfluss des Sees. Das westliche Ufer des Myvatn ist ein wichtiges Vogelbrutgebiet, grosse Teile sind Sumpfgebiet und kaum zugänglich. Leider sind nicht nur Vögel Gäste dieses Uferabschnitts, sondern auch Mücken laben sich an den Gestaden.

Augen zukneifen, Kopf einziehen, durch die Nase atmen und möglichst schnell weiter... Bei einer kleinen Verschnaufpause bemerke ich den schwarzen Touch meines sonsten grauen Pullis... allmählich machen sich die Mücken wieder auf mein Kleidungsstück zu verlassen und surren stattdessen um meinen Kopf. Zum Glück stechen diese Biester nicht, sonst müsste man wohl hier alle Unvorsichtigen in die Klapsmühle einliefern nach deren ersten Erfahrungen mit den Mücken.

Das letzte Stück bis Reykjahlid führt wieder durch ein Lavafeld, ein noch sehr junges übrigens, etwa 150 Jahre alt. Eindrücklich liegt das erstarrte Gestein in Platten in einander verschachtelt. Es gibt eine Sage, dass ein Riese, um sich die Gunst einer Frau zu verschaffen, sich einen Weg durch diese Lava bahnen musste. Alle hielten dies für vollkommen unmöglich, bis sie eines Besseren belehrt wurden, sehr zu Ungunsten der betroffenen Frau.

Ja, ich kehre wieder nach Reykjahlid zurück. Ich quartiere mich wieder auf dem selben Campingplatz ein, da er so schön ist. Eigentlich hätte ich einen Teil meines Gepäcks getrost hierlassen können, ich habe mich aber am Morgen noch nicht entscheiden können.

Nach einer kleinen Einkaufstour im Supermarkt, mache ich mich gemütlich ans Kochen.

Ich treffe auf dem Platz übrigens ein holländisches Pärchen, das auch auf Fahrradtour ist. Dieses ist mir schon im Skaftafell National Park aufgefallen und der Zufall brachte uns wieder zusammen.

Der Abend bringt dann den ersehnten Sonnenuntergang, wiederum wird der See in tiefrot und blau getaucht, alles scheint aufzuglühend, toll!


Donnerstag 3. August 2000
Reykjahlid – Krafla - Dettifoss, 65 km

Ich gehe den Start ins nächste Abenteuer gemütlich an. Ich genehmige mir noch eine Dusche und plaudere mit ein paar anderen Reisenden. Als ich schon zur Abfahrt bereit bin und noch am Trinkflaschen auffüllen bin, fällt mir ein Mann auf, der eingehend die Mechanik meines Drahtesels zu studieren scheint. Gleichzeitig erscheint noch ein Schweizer Pärchen mit Drahteseln. Wir kommen alle vier ins Gespräch und sofort stellt sich heraus, dass der Mann Deutscher ist und auch nach Krafla radeln wird. Die beiden Schweizer haben dies schon besucht und machen sich direkt weiter nach Akureyri. Die beiden Holländer von gestern trudeln gerade ein, welch Zufall, auch die beiden wollen nach Krafla.

Nach kurzer Zeit macht sich so schon unsere kleine Karawane Richtung Krafla auf. Zwischen Reykjahlid und der Abzweigung nach Krafla liegt leider ein Hügel. Schnell merke ich warum ich die grösste Mühe habe mit anderen mitzuhalten, alle anderen haben ihr Gepäck auf dem Campingplatz gelassen, was für mich nicht möglich ist, da ich ja gleich weiter möchte nach Krafla.

Neben den beiden Holländern, bilde ich mit dem Deutschen ein Pärchen. Er ist wohl gegen fünfzig und ein sympathischer Typ. Er war Manager, kaufte sich Aktien und wurde reich. Er ist wohl einer der wenigen die sich auf diese Weise nicht korrumpieren liessen: Er stieg aus mit dem ganzen Geld und vertreibt sich seitdem die Zeit als Hausmann. Die Reiselust lässt sich bei ihm aber nicht bändigen, so kommt es, dass er ausser Bergsteigen, so ziemlich überall auf der Welt war. Seit kurzem leitet er für einen Expeditionsanbieter in München (wahrscheinlich DAV Summit Club bin aber nicht sicher) Ausflüge auf den Kilimandscharo und so. Er ist für sieben Wochen in Island und hat die ganze Westküste von Island abgefahren (er fährt jeden Fjord aus, was die Strecke locker verfünffacht). Er startet oft morgens um sechs und fährt manchmal bis in die Nacht hinein. Respekt...

Nach der Steigung kommt eine kleine Abfahrt und an deren Ende befinden sich auch schon die ersten sprudelnden und schnaubenden Schlammlöcher. Mein Gefährte meint nur lässig, dass tatsächlich auf der ganzen Welt die Vulkane gleich riechten... nach Schwefel, bzw. etwas bildlicher nach faulen Eiern (bei denen die Bakterien bei der Fäulung den Schwefel aus den Proteinen freisetzen).

Ich verstecke meine Gepäcktaschen, um nicht alles nach Krafla hochzuschleppen, schliesslich sind ja noch etwa 300 Höhenmeter zu machen und ohne Gepäck macht sich dies leichter. Eigentlich hätte ich mein Gepäck wohl am Strassenrand liegenlassen können, in Island wird kaum je etwas gestohlen, mein Mitfahrer meint aber wir sollten kein Risiko eingehen.

Die Strasse nach Krafla wird gerade auf mehreren Kilometern gleichzeitig repariert. Interessanterweise braucht man, um eine Schotterstrasse zu reparieren auch einen Tankwagen. Dieser spritzt den frischen Schotter nass, welcher sich dann wohl besser komprimieren lässt. Wir haben so unsere Mühe mit dem aufgetürmten Schotter, hoffentlich wird der Endzustand der Strasse etwas besser aussehen. Nach ein paar Kilometern fahren wir am geothermischen Kraftwerk von Krafla vorbei. Aus der ganzen Gegend führen Druckleitungen zur Zentrale, in welcher dann der Dampfdruck für die Stromerzeugung genutzt werden kann. Der Dampf entsteht übrigens in Löchern von Hunderten von Metern Tiefe. Wasser wird hinuntergepumpt, welches schlagartig erhitzt wird und so die Turbinen antreibt.

Eine kleine Anekdote über die gewaltigen Kräfte, die von dieser Vulkanregion freigesetzt werden können: In den siebziger Jahren wurde die erste Probebohrung angesetzt. Leider hat man sich etwas verschätzt, die Bohrung war gerade über einer Magmakammer plaziert. Eine gewaltige Explosion schleuderte das Bohrgerät drei Kilometer weit fort und ein riesiger Krater entstand. Glücklicherweise kam dabei niemand ums Leben. Der entstandene Krater wurde übrigens Sjalfskapar Viti getauft, was soviel wie „selbstgemachte Hölle" bedeutet. Gute Namenswahl.

Den Deutschen zieht es vorallem auf den Krafla, den höchsten Berg hier in der Gegend (etwa 700m). Er meint, in Island fehle ihm das Gefühl zuoberst auf einem Berg zu stehen schon sehr (er klettert viel in Deutschland und der Schweiz). So verabschieden wir uns. Ich ziehe es vor die Vulkanspalte anzuschauen, welche noch vor fünfzehn Jahr gewaltige Mengen Lava spuckte.

Der aktive Vulkan ist keine Erhebung sondern eher eine lang gezogene Öffnung. Die ganze Gegend ist durchzogen von erstarrten Lavaströmen unterschiedlicher Helligkeit: Schwarze sind die jüngsten, Hellbraune sind schon älter (stärker erodiert). Ich staune, man kann tatsächlich auf der Spalte laufen, es dampft zwar aus allen Ritzen, die Oberfläche sieht aber einigermassen stabil aus. Noch vor einigen Jahren ist das Betreten durch grellorange Warnschilder mit Totenköpfen verboten gewesen, es hat sich aber schon damals niemand um die drohende Gefahr gekümmert. Auf einer Postkarte habe ich gesehen, wie höllisch diese Spalte erscheint bei einem Ausbruch. Heute scheint aber alles friedlich zu sein, da sogar die Omas und Opas darauf spazieren gehen.

Am Wegrand öffnen sich im wieder kleine „Höllenpforten", Löcher mit einem halben Meter Durchmesser, rötlicher Färbung an den Wänden und unergründlicher Tiefe... Auf einem kleinen Vulkankegel esse ich etwas. Bald bemerke ich, dass die kleine Öffnung unter meinen Füssen die Quelle eines kleinen Lavastroms gewesen ist, der sich deutlich sichtbar den Hang hinunter schlängelt. Verrückter Ort hier!

Aus der Ferne ist immer wieder ein Donnergrollen zu hören, je nach Windrichtung besonders laut und dann wieder erträglicher. Das Geräusch scheint von einem Bohrloch zu kommen, das in Richtung Krafla-Berg liegt. Neugierig fahre ich mit dem Fahrrad näher. Die Strasse dürfte zwar nicht befahren werden, da sich aber auch Reisebusse um dieses Verbot nicht kümmern, fahre ich durch. Das Donnergrollen kommt tatsächlich von einem Bohrloch, welches auch eine weithin sichtbare Dampfwolke ausstösst (siehe Hverfell von gestern, 15 km entfernt).

Beim Nähertreten, erscheint das Getöse, wie das Starten eines Jumbojets (wenn man sich neben das Triebwerk stellt), die Erde zittert unter den Füssen. Hier muss ein gewaltiger Druck entstehen durch das Herunterpumpen von Wasser. Kurz erinnere ich mich an die Geschichte von „Sjalfskapar Viti". Das Bohrloch hier scheint aber unter Kontrolle zu sein.

In der Nähe liegt noch der sehenswürdigste Krater, der Viti (die Hölle). Dieser ist gefüllt mit einem azurblauen See und das Paradestück zum Fotografieren. Die 300 m Durchmesser sind schon imponierend. Die Umgebung des Kraters ist durchzogen von Dampflöchern, der ganze Boden scheint zu brodeln.

Da es schon gegen drei Uhr ist, mache ich mich auf den Rückweg. Mein Gepäck finde ich ohne weitere Probleme, da ich die Wegstangen abgezählt habe und so nur noch bis zur richtigen fahren musste. Kurz darauf bin ich auch schon wieder auf der Ringstrasse, welcher ich nun Richtung Osten folge. Nach etwa 12 km sollte die Abzweigung nach Dettifoss kommen.

Das Wetter wird zunehmends schlechter. Wind kommt auf, Regen setzt ein. Obwohl die Strecke nur kurz ist, kommt sie mir doch mühsam lang vor. Vielleicht bin ich nicht so ganz in Form.

Endlich kommt die Abzweigung und das Abenteuer kann beginnen. 22 km sollen es bis zum Nationalpark sein, an dessen Grenze liegt dann auch der Wasserfall Dettifoss.

Die Strasse ist katastrophal, es liegt zum Teil dicker Schotter. Man muss das Fahrrad immer darum herum steuern um nicht unnötig Kraft zu verlieren und wenns gleichzeitig noch ansteigt dann wirds heikel. Auch machen sich die vollen Wasserflaschen bemerkbar, ich brauche aber diese Reserve, da so schnell keine Siedlung mehr anzutreffen ist. An manchen Stellen ist der Weg bis auf einen Meter eingefressen in die Umgebung. Wenn kein Schotter mehr liegt, dann ist alles voller Schlamm.

Die Vorwärtskommen geht nur im Schritttempo, irgendwie komme ich aber gut in einen Trott und es fängt an mir zu gefallen. Nur drei Fahrzeuge kreuzen mich auf dem ganzen Weg, was dann auch jedesmal ein mühsames Unterfangen ist. Die Fahrzeugbreite entspricht oft der Wegbreite...

Das Wetter bessert sich allmählich, die Nebelschwaden beginnen sich zu lichten. Am Horizont, dort wo ich etwa Dettifoss erwarte, liegt eine besonders hartnäckige Wolke. Ob dies schon der Gischtstrahl des Wasserfalls ist?

Gegen sieben Uhr erreiche ich die Grenze des Nationalparks. Das grosse Willkommensschild bedeutet aber nicht nur das ich am Ziel bin sondern leider auch, dass hier campieren verboten ist. Neugierig auf den Wasserfall, fahre ich noch bis zur Abzweigung nach Dettifoss. Zu meinem Erstaunen sind dies noch 3 km, ich habe gedacht, dass man den Wasserfall schon von der Strasse aus sehen kann. Die Abzweigung ist noch übler, als die Strasse vorhin. Lange bin ich hin und her gerissen, soll ich noch zum Wasserfall fahren oder lieber schon jetzt mein Zelt aufschlagen. Nach ein paar hundert Metern auf der Strasse Richtung Dettifoss kehre ich um, mehrere Gegensteigungen und endloser Schotter lassen meinen Eifer den Wasserfall zu sehen abkühlen.

Wo aber soll ich mein Zelt aufschlagen? Die Gegend hier ist vollkommen kahl. Kein Strauch, kein Gras, nichts als Sand und Steine, nur vereinzelt ein kleines Pflänzchen. Bei diesen Umständen ist es schwierig ein Zelt zu verstecken. Als ich noch am Suchen bin, kommt dicker Nebel auf. Kurzerhand schiebe ich mein Fahrrad auf eine kleine Anhöhe neben der Strasse. Oben gibt es wenigstens nicht gerade direkten Einblick auf meinen Zeltplatz.

Als ich am Zeltaufstellen bin, ist der Nebel sehr dicht geworden. Kaum noch zehn Meter sind zu sehen. Ich komme mir vor wie am Ende der Welt. Plötzlich dringt ein seltsames Geräusch durch den dichten Nebel. Ein Tier? Ein verlaufenes Schaf? Die nächste Siedlung liegt 40 km weit entfernt und dazwischen ist Niemandsland. Beängstigt von dieser unheimlichen, langsam eindunkelnden Umgebung stelle ich mein Zelt auf. Um die Zeltschnüre zu fixieren brauche ich Felsbrocken, Häringe halten unmöglich in diesem weichen Sand.

Ich bin sehr froh, mich in den Schutz meines Zeltes zurückziehen zu können. Der Zeltstoff bildet für mich eine Schutzhülle vor dem nächtlichen Unbekannten. Dies ist einer der schwierigen Momente, wenn man alleine unterwegs ist. Man ist verloren inmitten einer riesigen Einöde. Kein Mensch, an den man sich wenden könnte. Dicker Nebel verschleiert das Antlitz der Natur und lässt der Einbildung freien Lauf. In solchen Situation muss man sich schon selber gut kennen, um sich beruhigen zu können.

Müde falle ich in einen tiefen Schlaf.

Freitag, 4. August 2000
Dettifoss – Asbyrgi, 50 km


Morgens ist nichts mehr zu spüren von der unheimlichen Umgebung. Die Sonne dringt für kurze Momente durch die Wolkenschicht und lässt die Landschaft aufblitzen in ihren Farben. Mein Zeltplatz gleicht einer Mondlandschaft, alles voller Sand und Geröll, nur kleine Grasbüschel sind zu sehen ab und zu. Schnell noch ein Foto machen vom Zelt und dem Fahrrad.

Heute solls endlich zum Wasserfall gehen. Mein Gepäck nehme ich somit auch nur bis zur Abzweigung mit und fahre so in lockerem Tempo bis zum Wasserfall. Der Gischtstrahl ist tatsächlich von weitem zu sehen. Aber so gross, dass ich diesen schon gestern 15 km entfernt gesehen hätte ist er auch nicht oder doch? Der Parkplatz befindet sich noch etwa 300 m vom Fluss entfernt, gerade genug um in einem Reiseprospekt für Cartouristen anpreisen zu können, dass die Naturwunder in Island über wunderschöne Wanderrouten erreicht werden können und hierfür gutes Schuhwerk erforderlich sei. Die staunenden (und stolpernden) Touris säumen natürlich auch in diesem Teil Islands die Sehenswürdigkeiten.

Der erste Anblick des Dettifoss ist überwältigend. Über eine 42 m hohe Felsstufe stürzen sich 200 – 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Das Wasser des Jokulsa a Fjöllum („Gletscherfluss der aus den Bergen kommt") ist braun gefärbt durch den Schlamm der mitgeschleppt wird. Kurz nach dem Wasserfall, wird eine grosse Gischtwolke etwa hundert Meter hoch gedrückt, was einen Dauerregen verursacht. Aus diesem Grund ist auch das Flussufer an manchen Stellen überwachsen mit wasserliebenden Moosen und es bilden sich grosse Pfützen.

Am Wasserfall treffe ich auf den Deutschen von gestern, er hat für heute eine weitere Stippvisite gemacht. Wie zum Teufel ist er aber schon vor mir beim Wasserfall angekommen? Mein Anfahrtsweg war 4 km, seiner mindestens 40 km und auf was für einer Strasse... Wir verabschieden uns aber schon bald wieder, er will zurück nach Myvatn und ich noch etwas den Fluss hoch zum oberen Wasserfall dem Selfoss, dieser ist zwar weniger hoch, dafür aber durch seine Hufeisenform besonders eindrücklich.

Fast werde ich Zeuge eines Todessprungs in die Schlucht vom Dettifoss. Ein deutscher Tourist will unbedingt ein Foto des Abgrundes erhaschen und hierfür sieht er keine andere Möglichkeit, als sich auf die äusserste Felsplatte zu stellen. Durch die Gischt ist alles äusserst glitschig und beinahe wäre der Ausflug schiefgegangen. Tja, beim Fotografieren sollte man sich wie beim Bergsteigen verhalten, auch die schönste Foto rechtfertigt nicht den Absturz. Dummer Spruch zwar, aber noch längst nicht alle scheinen es kapiert zu haben.

Bei der Weiterfahrt Richtung Polarmeer, grünt die Landschaft auf. Das Wetter präsentiert einen blauen Himmel und macht die Fahrt zu einem besonderen Vergnügen. Die Vegetation wird immer dichter, Sträucher bedecken die Oberfläche. Nach einer der vielen Anhöhen kommt plötzlich ein türkisschimmerndes Band am Horizont ins Blickfeld: das Polarmeer.

Gegen vier Uhr erreiche ich nach einer kurzen Abfahrt die grosse Strasse am Delta des Flusses. Das Meer ist nun deutlich sichtbar und seine eigentümlich Farbe wirkt fantastisch.

Asbyrgi macht den nördlichen Abschluss des Nationalparkes, ein hufeisenförmiger Canyon von etwa 800 m Durchmesser, zwei Kilometer Länge und 100 m Tiefe. Es gibt zwei halbwegs glaubwürdige Erklärungen für die Entstehung dieses Gebildes: (1) ein Jökulhaup (Gletscherflut) soll innert drei Tagen diesen Canyon ausgewaschen haben oder (2) ein Göttersohn auf seinem beflügelten Pferd soll gelandet sein, daher die Hufeisenform.

An der Hauptstrasse finde ich zum Glück schnell einen Laden, wo ich meine Wasserflaschen füllen und Brot und Suppe kaufen kann. Ich entschliesse irgendwo auf der Weiterfahrt nach Husavik nach einem geeigneten Zeltplatz Ausschau zu halten. Leider ist der Strassenrand von Zäunen eingefasst und dort wo eine Abzweigung ist gibt es überhaupt keinen Sichtschutz. Nach ein paar Kilometern gebe ich die Suche auf und nehme den erstbesten Platz. Etwa siebzig Meter von der Strasse entfernt, kann ich mein Zelt aufstellen. Die meisten Autofahrer können mich zwar sehen, Ärger wird es hier aber kaum geben.

Der Abend bietet einen schönen Sonnenuntergang. Wie immer in Island ist dieser kaum zu verpassen: er dauert Stunden.


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