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Reisebericht von Island

22.Juli – 13. August 2000

1140 km per Fahrrad

3. WOCHE


Samstag, 5. August 2000
Asbyrgi – Husavik, 85 km

Ich wache so gegen acht Uhr auf und es regnet in Strömen. Ich bin gar nicht motiviert in diesem Regen über 80 km zu fahren bis Husavik. So trödle ich im Zelt herum. Lese noch etwas, esse Frühstück und mache Morgentoilette. So gegen zehn Uhr ist immer noch keine Besserung in Sicht, so entschliesse ich mich doch aufzubrechen. Hier an diesem Ort einen Tag zu verbringen begeistert mich nicht gerade. Ich versuche mich wasserdicht zu bekleiden, die Regenhosen werden montiert und die Goretex-Jacke angeschnallt.

Ein Zelt zu verstauen ist denkbar mühsam in strömendem Regen, doch irgendwie gelingt es mir doch den nassen Lappen in den Zeltsack zu pressen. Auf der Strasse, wird mir zum ersten Mal bewusst aus welcher Richtung der Wind weht... Seitenwind, Glück gehabt. Der Wind kommt aus Norden und scheint gewaltige Regenmassen anzuschleppen. Die Fahrt ist mühselig. Die Kleidung scheint zwar dicht zu halten, den Fahrkomfort wird aber durch dadurch aber schon beeinträchtigt. Einen grossen Fehler habe ich beim Anziehen der Goretex-Überhandschuhe gemacht. Ich habe sie über die Jacke festgezogen, was natürlich dem an der Jacke abfliessenden Wasser erlaubt als Rinnsal langsam meinen Handschuh zu füllen. Schon bald macht eine kleine Pfütze bemerkbar, kurz darauf sind die Fahrradhandschuhe vollgesogen.

Der Wind hält sich in Grenzen bis auf eine Böe. An einer Stelle die sich wohl gut als Windkanal eignen würde reisst mich der Windstoss fast in den Strassengraben. Mein Fahrrad hat durch das Gepäck und mich hervorragende Eigenschaften als Segel und wird so zum Spielzeug des Windes. Die Strasse führt einem grossen Landarm entlang der weit ins Polarmeer hineinreicht. In strömendem Regen fährt mir ein anderer Fahrradfahrer entgegen. Ein sehr sympathischer Österreicher, der nur mit leichtem Regenschutz und Hut unterwegs ist. Er geniesst dieses Sauwetter schon fast, aber auch mir macht das Ganze eigentlich nichts mehr aus. Nach einiger Zeit erreiche ich das nördliche Ende des Landarmes, nicht weit draussen auf dem Meer liegt der Polarkreis. Island selbst berührt den fiktiven Kreis nur auf einer seiner kleinen Inseln vor der Küste.

Ich komme recht gut voran und der Regen lässt freundlicherweise etwas nach. Auch auf dieser Strasse herrschte rege Bautätigkeit. Kilometerweise wird die Strasse erneuert. Irgendwie möchte Island auch gerne ein geteertes Strassennetz, so dass sich die Isländer nicht mehr einen Geländewagen zulegen müssen um in die Ferien aufs Land zu fahren.

Husavik ist ein Fischerstädtchen. Bekannt vorallem durch das whale watching in dem grossen Fjord. Dieser scheint ein wichtiger Ort zu sein für die Wale, viele verschiedene Arten sollen hier zu sehen sein. In einer kleinen Broschüre stehen sogar die Sichtungsstatistiken vermerkt. Nur jedes zwanzigste Ausflugsboot sichtet keinen Wal, genauso häufig wird übrigens auch einen Blauwal gesichtet.

Leicht durchnässt wärme ich mich in Husavik in einem Tankstellenimbiss. Draussen regnet es nun wieder in Strömen. Nach einer halben Stunde gemütlichen Sitzens mache ich mich auf den Weg. Ich möchte ausserhalb des Städtchens irgendwo mein Zelt aufschlagen. Dies klappt dann auch auf Anhieb.

Gestärkt durch Pilzsuppe und Knäckebrot geniesse ich noch das Wetter. Es ist wieder schönes Wetter. Gegen halb elf geht dann auch die Sonne unter; in Richtung NNW.


Sonntag, 6. August 2000
Husavik – Akureyri, 90 km


Das schöne Wetter hält an. Bei strahlender Sonne und kräftigem Rückenwind (genial!) fliegt die Landschaft nur so vorbei auf der Fahrt. Locker hält man eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h und das mit einigem an Gepäck. Nach ein paar Stunden ist dann auch schon der Grossteil des Weges geschafft, jetzt fehlt nur noch der Pass, der den Fjord von Husavik mit dem von Akureyri trennt. Irgendwie bin ich völlig aufgedreht am Aufstieg und überhole glatt vier andere Tourenfahrer, zwei Pärchen. Mit dem letzten Pärchen habe ich mich wohl etwas überschätzt. Kaum überhole ich den männlichen Teil des Gespanns so braust dieser auch schon los. Ich habe den ganzen Aufstieg ohne Halt gemacht und jetzt gehts auch schon wieder runter. Während der Abfahrt überholt dieser mich zuerst, dann lasse ich die Räder einfach laufen und überhole wiederum ihn, da mein Fahrrad um einiges weniger Laufwiderstand hat und zudem der Triathlonlenker etwas beisteuert. Eine spassige Verfolgungsjagd beginnt. Mit etwa fünzig Sachen brausen zwei schwer bepackte Fahrräder nun die enge Passstrasse hinunter.

Plötzliche öffnet sich das Tal und der Fjord wird sichtbar. Da halte ich natürlich an und überlasse die Abfahrt dem anderen. Der Fjord ist in wunderschönes Türkis getaucht durch die Sonne. Am anderen Ufer ist auch schon Akureyri sichtbar. Jetzt muss ich schnell mich wärmer anziehen, da ich am ganzen Körper zittere. Ich habe mir wohl bei der Abfahrt eine leichte Unterkühlung zugezogen, schliesslich hatte ich nur ein dünnes Rollkragenshirt, das zudem noch völlig verschwitzt ist vom Aufstieg.

Auf der Weiterfahrt habe ich dann noch Gelegenheit mit dem Pärchen zu plaudern, sie kommen aus dem Baskenland (nicht Spanien also...) und geniessen ihre Rundreise total. Die Frau ist richtig high von Island.

Über den hintersten Teil des Fjordes wurde ein Damm für die Strasse gebaut, so ist man schnell auf der anderen Seite in Akureyri. Es ist es drei Uhr und ich bin schon über 90 km gefahren, nicht schlecht, dabei hat der Wind aber stark geholfen.

In Akureyri mache ich mich auf die Suche nach dem Campingplatz. Dieser liegt auf einer grossen Wiese gleich neben der Schule, ausserhalb der Saison ist dieser wohl die Spielwiese der Kids. Der Platz ist schon recht gefüllt und prompt treffe ich wieder auf Altbekannte von Myvatn oder sogar von Skaftafell. Nach dem Abendessen laden mich die beiden hollandischen Nachbarn noch auf einen Berenburg ein (die Ausprache dieses Wortes muss Kultstatus haben). Sie sind per Mini-Renault unterwegs, leider haben die beiden noch nicht viel von Island mitbekommen ausser der Ringstrasse. Ungeteerte Strassen soll ihr Auto weniger vertragen.


Montag, 7. August 2000
Akureyri

Meine Pläne für die nächsten und letzten Tage sind noch nicht ganz fix. Irgendwie bekomme ich mehr und mehr Lust noch einige Fahrradkilometer abzuspulen, kann ich mich aber nicht ganz entscheiden, was ich genau noch unternehmen will. Die ganze Kjölurroute bis nach Reykjavik zu fahren reicht nicht (oder nur extrem knapp und meinen Flug möchte ich eigentlich nicht verpassen). Was ich sicher mir noch anschauen möchte ist Gulfoss (der schon fast kitschig schöne Wasserfall am Ende der Kjölurroute) und Geysir (der Namensgeber für alle die anderen prustenden Wasserfontänen auf der Welt).
Um weiterzufahren brauche ich aber Geld. Heute sind alle Banken geschlossen und eine VISA Karte für den Automaten habe ich nicht. Es tut aber gut etwas auszuspannen, an der Sonne zu liegen und in Akureyri herumzuschlendern.
Abends mache ich noch einen Abstecher in den Botanischen Garten. Eine Riesenauswahl von isländischen Arten (anscheinend alle) und ausgelesene tropische (!) Pflanzen. Dies ist nur möglich, da der Fjord ein stabiles Klima bietet und die Meeresnähe gleicht die Temperaturen im Jahresverlauf stark an.
Auf dem Campingplatz plaudere ich noch mit einem Holländer, den ich schon in Höfn gesehen habe. Er hat unterdessen einen wilden Abstecher nach dem Herdubreid und Askja (in der Nähe der Sprengisandurroute) gemacht. Sein Benzinkocher hat dabei den Geist aufgegeben und er fürchtete schon zu verhungern, da in den selben Tagen noch ein Sandsturm wütete. Zum Glück ist dann ein italienischer Kleinbus vorbei gekommen, der ihn dann aufnehmen konnte. Tja so kann das Leben mitspielen, wenn mal per Fahrrad unterwegs ist. Jetzt hat mein Gesprächspartner aber mächtig Hunger (vorallem nach was anderem als dem ewigen Reis, den er ihn den letzten Tagen essen musste). Ich leihe ihm dafür mein Kocher, mit strahlenden Augen bereitet er so seine erste richtige Mahlzeit seit längerem zu.
Der Holländer ist schon gegen vierzig und auf einem kleinen Ausbrechertrip, endlich wieder einmal tun, was einem gefällt. Nicht von Job und Freundin eingeengt sein, so seine Erklärung. Er erzählt mir noch von einem holländischen Weltumrunder per Fahrrad, der aber leider seine Bücher bis jetzt nur in seiner Sprache geschrieben hat.


Dienstag, 8. August 2000
Akureyri

Ein weiterer (etwas aufgezwungener) Ruhetag. Heute kann ich aber zumindest meine Traveller-Checks wechseln, so dass es morgen dann losgehen kann.
Ich verbringe den Tag so wie gestern. Herumschlendern, etwas gutes Einkaufen (Luxus wie Marmelade, Joghurt, Salat) und plaudern auf dem Campingplatz. Immer wie mehr verspüre ich aber wieder den Drang auf dem Fahrrad zu sitzen, besonders da das Nichtstun hier in Akureyri nicht gerade anregend ist.
Mit meinem holländischen Kollegen gehe ich gegen Abend nochmals in den Botanischen Garten. Er erzählt mir etwas über die Blumen, die in seinem grossen Garten wachsen und sich natürlich auch hier im Botanischen Garten wiederfinden (er und seine Freundin haben ein Haus von einer Hobbygärtnerin abgekauft unter der Bedingung auch gut zu dem grossen zugehörigen Garten zu schauen).
Wieder zurück auf dem Campingplatz begegne ich dem Quebecois von Myvatn. Ich erzähle ihm meine Pläne für die nächsten Tage und er schlägt mir prompt vor, was ich mir insgeheim eigentlich gewünscht habe: Ich solle doch mit dem Bus die Hälfte der Kjölurroute fahren und kurz vor dem interessanten Teil aussteigen und anfangen zu strampeln. Zusammen haben wir kurz überschlagen, wie lange das Ganze dauern würde. Eineinhalb Tage für das Kernstück der Route. Ein halber Tag für Gulfoss und Geysir, die gleich auf der Route liegen. Ein ganzer Tag für Pingvellir und schliesslich Reykjavik. Auch wenn dieser Plan aufgeht habe ich keinen Reservetag vor dem Abflug, aber was solls schliesslich bin ich ja hier in Island und nicht in Südamerika. Mein holländischer Kollege ist sehr skeptisch, da für ihn die Tagesetappen viel zu lang scheinen und ich so nie und nimmer auf den Flieger kommen werde. Aber was solls, mich hat der Vorschlag überzeugt und los gehts!


Mittwoch, 9. August 2000
Akureyri – Hveravellir (Bus), Hveravellir – Hvitarnes, 50 km

Mein Bus fährt zwar erst um neun Uhr, doch um sieben mache ich mich schon ans Packen. Noch einmal sich ausgiebig waschen auf dem Campingplatz, gemütlich im Gras frühstücken (der Holländer gab mir fürs Kocherbenutzen einen kleinen Topf mit Erdnussbutter).
Von denen, die ich kennengelernt habe auf dem Campingplatz habe ich mich schon gestern abend verabschiedet, heute früh regt sich noch nichts in den Zelten. Der Holländer ist übrigens mit einem Einzweitel-Personenzelt unterwegs, ein Hybrid zwischen einem Stofffetzen zum rundum den Schlafsack binden und einem Zelt mit Gestänge. Der Vorteil liegt auf der Hand bei dieser Konstruktion, das Ding wird wohl kaum mehr als ein Kilogramm wiegen, nur hätte ich Platzangst in einer solchen Konservenbüchse und bei Schlechtwetter fühlt man sich wohl schon sehr gedrängt, wenn der Regen fünf Zentimeter oberhalb der Nase an den Stoff prasselt.

Ein letzter Blick auf den Zeltplatz und ich mache mich auf den Weg zur Busstation. In den letzten drei Tagen war ich einige Male dort, so kenne ich den Weg nun bestens. Es fahren zwei Busse von Akureyri nach Reykjavik heute. Einer über die Ringstrasse (billiger und schneller) und einer über die Kjölur-Inlandroute (teurer aber um einiges interessanter). Im Ganzen fahren etwa 15 Personen mit dem Bu, dass heisst mein Drahtesel muss sich nicht mit dem Hängeplatz hinten am Bus begnügen sondern darf im Frachtraum mitfahren. Der Busfahrer stellt mit Fahrrad aufrecht (!) in den Laderaum und lehnt meine Packtaschen dagegen als Stütze. Ich fürchte, dass beim kleinsten Holpern das Ganze aber umfallen wird und mein Fahrrad, da wohl etwas zu leiden hätte. Zum Glück kommt noch ein Pärchen angeradelt, dass seine Fahrräder auch noch mitnehmen möchte. So muss das waghalsige Verstauen meines Rades neu überdacht werden vom Fahrer. Neue Idee: die Räder müssen nun gestapelt werden (!). Eine ungünstige Alternative, aber wir können dann das Ganze so polstern, dass ausser Kratzer grössere Schäden vermieden werden können.

Die Fahrt ist sehenswert. Nach Akureyri folgt die Strasse einem endlos langen Tal, das in einem Pass endet. Die Umgebung ist grün und vereinzelt stehen sogar Bäume.

Das Pärchen, dass auch per Fahrrad unterwegs ist, scheint sich im Moment wohl nicht gerade gut zu verstehen. Irgendwie ist der Freund abweisend. Nach längerer Fahrt und einem kleinen Stopp vor einem Souvenirladen zweigt die Strasse nach Kjölur ab. Die Landschaft wird wieder wild, Flüsse schieben Schlammmassen mit sich, der Grasbewuchs lichtet sich. Auch spielt das Wetter immer weniger mit. Dunkle Wolken ziehen auf es beginnt zu regnen. Vom Innern des Busses aus erscheint alles ziemlich gemütlich. Nur stelle ich mir gerade vor, wie es sich wohl draussen auf dem Fahrrad anfühlt bei diesem scheusslichen Wetter.

Bei einem Aussichtspunkt hält der Bus an. Der Wind peitscht Regen mit und der Himmel ist von dunklen Nebelfetzen durchzogen.

Ich fange mit der weiblichen Hälfte des Pärchens ein Gespräch an über das... was wohl, das Wetter. Wieder im Bus quatschen wir dann zu dritt über alles mögliche. Was für eine Muttersprache die beiden sprechen finde ich zuerst nicht heraus. Wir sprechen Hochdeutsch, beide haben aber einen leichten Akzent.
Die Frau ist ein Jahr älter als ich und ist Schwedin, spricht aber perfekt Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch und etwas Spanisch. Er ist Unterwalliser, studiert in Zürich, so wie seine Freundin, und spricht darum so gut Hochdeutsch. Da es für alle gemütlicher ist französisch zu plaudern, wechseln wir kurzerhand die Sprache. Den Rest der Busfahrt unterhalten wir uns über Island und das Herumreisen.

In der Mitte der Fahrt, in Hveravellir, steigen wir alle drei wie geplant aus. Das Pärchen möchte hier einmal übernachten (es gibt zwei Hütten vom isländischen Wanderverein) und morgens per Bus bis nach Reykjavik durchfahren. Die beiden haben keinen Kocher dabei und sind nicht so motiviert sich auf den Schotterstrassen abzustrampeln, auch ziehen sie es vor unter Solidem zu schlafen. Da es erst mittag ist, gehe ich mit den beiden in eine der Hütten und wir kochen uns gemeinsam etwas auf dem Gasherd. Fast drei Stunden plaudern wir. Ich merke, dass mir genau dieses Plaudern schon etwas gefehlt hat in letzter Zeit. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die beiden gerne jemanden Drittes haben im Moment. Gegen drei Uhr mache ich mich langsam auf den Weg. Es fällt mir aber schwer mich einfach so abzufahren, hinaus in die kahle und auch kalte Wildnis.

Das Pärchen versteht sich unterdessen wieder prächtig und ist voller Tatendrang in der heissen Quelle neben der Hütte (das gibts auch nur in Island) ein ausgiebiges Bad zu nehmen. Ich packe meine Sachen zusammen und mache noch kurz einen Schnappschuss von einem Vogel (eine Art Wasserläufer, glaube ich), den ich aus einem Meter Distanz ablichten kann... Die Tiere hier haben wohl auch noch kaum Menschen gesehen oder sind schon verdächtig zahm geworden.

Die Piste ist schlecht hier um Hveravellir. Grober Schotter bedeckt den grössen Teil der Fahrspur und lässt das Vorderrad immer wieder herumhüpfen, wenn ich über einen grösseren Stein drüber fahre. Das Wetter hält sich in annehmbaren Grenzen, es nieselt leicht und es herrscht ein schwacher Gegenwind.

Auf den ersten Kilometer bin ich mich mühsam am einfahren. Die Sinne sind noch voll auf das Fahren konzentriert und erlauben nur wenigen Gedanken abzuschweifen.

Die Kjölurroute ist von Sagen umrankt. Erfundene und wahre Geschichten geistern in den Köpfen und Büchern herum. Das Kernstück der Kjölurroute (die höchste Erhebung mit etwa 850m), auf dem ich mich gerade befinde ist westlich und östlich von zwei Eispanzern flankiert, dem Langjökull und dem Hofsjökull. Östlich liegen auch die Kerlingarfjöll (Hexenberge). Bis ins 19. Jahrhundert getraute sich kein Isländer sich diesen Bergen zu nähern, da von schrecklichen Gestalten die Rede war, die dort hausen sollten.
Eine andere Geschichte erzählt von einem wagemutigen Schäfer, der seine Herde noch zu fortgeschrittener Jahreszeit durch die Kjölur treiben wollte. Es fing an zu schneien und der Mann wurde nie wieder gesehen. Die Seelen der verendeten Schafe sollen noch heute in der Nacht zu hören sein. Die leiblichen Überreste, die Knochen, sind am Fusse des Knochenbergs zu stehen. Tatsächlich sollen dort unzählige Gerippe zu finden sein.

Obwohl ich eigentlich nicht an solche Geschichten glaube. Hier draussen, in dieser düsteren und öden Landschaft, alleine auf dem Fahrrad verstehe ich, warum sich solche Erzählungen so lange halten. Die Umgebung gibt einem ein Gefühl von leichtem Erschauern. Hundert Kilometer bis zur nächsten Siedlung sind eine lange Strecke für verschreckte Seelen. Leider lässt sich die Gestalt der Kerlingarfjöll und der Eispanzer nur erahnen. Die dichten Wolken verdecken die meiste Zeit die Sicht.

Als ich den höchsten Punkt der Route erreiche, schlägt mir ein frischer Gegenwind ins Gesicht. Hier oben steht ein kleines Denkmal für den Begründer des isländischen Wandervereins. Der Gewürdigte hat mit grossem Einsatz sich für den Aufbau von Routen und Hütten im wilden Inland von Island eingesetzt. Zum Glück führt die Strasse nun leicht abwärts, so fällt das Vortwärtskommen leichter. Die Landschaft erscheint unendlich weit und öde. Graues Gestein, grauer Himmel, graue Bäche, manchmal funkelt aber das strahlende Weiss von einem Gletscher durch die Wolkenwand. Fahrzeugen begegne ich nur einer Handvoll im Verlaufe des Nachmittags.

Nach einigen Stunden Fahrt auf der holprigen Strasse fällt mir plötzlich ein seltsam klingendes Geräusch auf, das vom Hinterteil meines Fahrrads produziert wird. Ein Teil meines Gepäckträgers hat sich gelöst! Lose hängte ein Befestigungsgestänge herunter und reibt am Rad. Schnell bemerke ich, dass sich eine Schraube von alleine vollständig herausgedreht hat durch die Vibrationen. Als Ersatz nehme ich eine Schraube von einer nicht gebrauchten Getränkehalterung ab, der Typ ist genau der gleiche. Ich habe schon auf anderen Schotterstrecken die Schrauben regelmässig kontrolliert, nun bin ich durch die Teerstrassen zwischen Husavik und Akureyri wohl etwas leichtsinnig geworden.

Das Gefühl, das ich mich mitten in Island befinde beflügelt meine Sinne. Vieles geht mir durch den Kopf, während der langsamen Fahrt über den Schotter. Gegen abend finde ich ein gemütliches Plätzen Gras zum Zelten in der Nähe vom Hvitarvatn, einem grösseren Gletschersee.

Der Wind hat ziemlich aufgefrischt und ich verkrieche mich in die Apsis zum Kochen. Wie sonst auch schon befällt mich von Zeit zu Zeit ein seltsames Gefühl. Sobald ich nicht mehr um mich herum die Landschaft sehe, fängt manchmal die Fantasie etwas zu spielen an. Einen kurzen Gedanken an die Schafseelen genügt da manchmal und man hört ein feines Blöken aus dem Nirgendwo...

Ich werde mir bewusst, dass dies wohl die letzte Nacht in der Wildnis sein wird in Island. Zufrieden blicke ich auf die zweieinhalb Wochen Island zurück und bin erstaunt wie stark sich mein Eindruck von Island geändert hat in der Zwischenzeit. Ich fühle mich befreit und zufrieden. In jetztigen Zustand könnte ich mir vorstellen für sehr lange Zeit noch mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Nach Asien, nach Südamerika, aber immer im Tempo der eigenen Muskeln, so langsam, dass der Kopf genug Zeit hat alle Eindrücke von aussen zu verarbeiten. Nicht mit einem Bus oder Auto eine Strecke rasen. So dass, nur selten etwas länger betrachtet und bestaunt werden kann.

Das Fahrrad verschafft einem die Leichtigkeit und Dehnbarkeit, die zum Erleben einer Reise notwendig sind.


Donnerstag, 10. August 2000
Hvitarnes – Middalur, 85 km



Freitag, 11. August 2000
Middalur – Pörsmörk – Reykjavik, 100 km



Samstag, 12. August 2000
Reykjavik – Keflavik, 55 km



Sonntag, 13. August 2000
Ankunft in Zürich, Schweiz

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